-Hey Rocco, du hast als aktiver Trainwriter schon auf der halben Welt gemalt. Welche Reisetipps für Writer kannst/möchtest du empfehlen?
Ich bin, glaube ich, kein guter Reiseführer, mich zieht es irgendwie fast schon pathologisch in Gegenden hin, wo sich normalerweise kein Tourist verläuft. Der Charme des Abstoßenden, manch einer sagt Selbstkasteiung,  Mutti sagt ich bin einfach nur bekloppt. Plattgetretene Spritzen statt Sand und Palmen aus Plastikmüll. Ok, das war vielleicht n bisschen überspitzt, aber abseits der normalen Pfade fühl ich mich am wohlsten.
Bist du aufgrund von Graffiti schon mal auf Einreisehürden in bestimmten Ländern gestoßen?

Einreisehürden klingt niedlich. Der ein oder andere Haftbefehl in anderen Ländern ist noch aktuell, aber nichts wo man nicht herumfahren oder rüberfliegen kann. Ansonsten kann ich die Abschiebehaft in St. Petersburg empfehlen, zumindest wenn man abnehmen will. Ein, zwei Bundesstaaten der USA sind glaub ich auch tabu, aber tatsächlich auch nicht gerade die Malediven der Staaten, deswegen werde ich es wohl nie herausfinden.
In "Blaues Licht", eurer aktuellen "Dokumentation", thematisierst du dein zwiespältiges Verhältnis zu illegalem Trainwriting und die Schwierigkeit, diese Passion in ein "normales" Leben zu integrieren. Wie gehst du damit um? Hast du Tipps/Lösungsansätze gefunden die du empfehlen kannst?
Es gibt ein englisches Wort aus der Psychologie für dieses Phänomen, es heißt „Compartmentalization“. Es gibt keine direkte Übersetzung ins Deutsche glaub ich, es beschreibt grob gesagt wie sich ein Mensch mit zwei, in unserer Gesellschaft abstoßenden Alter Egos o. ä., arrangieren kann. Plakativstes Beispiel: Tagsüber Banker, nachts Züge malen. Das, was mir immer wichtig war, ist, dass die beiden Seiten nicht zu sehr kollidieren. Wenn das Verhältnis aus der Waage gerät, in die eine, wie auch in die andere Richtung, leidest du früher oder später darunter.
Zusammen mit deinen Brüdern setzt du, sehr gelungen, gesellschaftskritische Kunstaktionen außerhalb von klassischem Graffiti um. Was hat dich politisiert?
Deutschland.
Eure Aktionen sind sehr gut durchdacht und geplant. Hast du dir das "Know-How" dafür durch Trainwriting angeeignet?
Auf jeden Fall, knapp 20 Jahre Ubahntunnel, da kennt man schon den einen oder anderen Kniff.
Hat euer Name einen Bezug zu "Rocco and His Brothers", dem Luchino Visconti Film von 1960, oder machst du einfach Action mit deinen Brudis?
Wenn man den Film kennt, weiß man, dass die Beziehung der Brüder in Viscontis Film nicht gerade rosig endet. Aber der Name ist natürlich angelehnt, klar. Und meine Jungs sind Familie, also passt das doch optimal. Mir wurde schon Sexismus unterstellt, von offizieller Seite, allein wegen des Namens, ich denke da hört es dann irgendwann auf und ich räume lachend das Feld.
Welche Ansätze siehst du zur Bekämpfung des nationalen und internationalen Rechtsrucks in der Gesellschaft, außerhalb von "Kunst"?
Weniger Petitionen, mehr Steine werfen. (Vorsicht! Metapher.)  Ansonsten ist die Kunst eine unglaublich starke, politische Waffe. Noch genießt sie (in unseren Breiten zumindest) einen gewissen Schutz, auch wird sie als seriöses politisches Sprachrohr wahrgenommen.
Gab es Reaktionen von z.B. der Bundeswehr,  Heckler & Koch, der BVG, Airbnb, Primark, der türkischen Regierung oder der NRA auf eure Aktionen? Werden sie von den Verantwortlichen wahrgenommen?
Tatsächlich ja, und das ist ziemlich wichtig für meine Motivation bei solchen Projekten. Airbnb versteht die Welt nicht mehr, Primark will sich mit mir zusammensetzen und über die Arbeitsbedingungen in Bangladesch und ihre Whitewashing-Kampagnen diskutieren, die Bundeswehr findet meine (also ergo ihre eigene) Kampagne scheiße, und, ja, die BVG... Petra Nelken, die Pressesprecherin , sagen wirs mal so: sie mag mich nicht. Würde mich nicht wundern, wenn es auf der Weihnachtsfeier der BVG eine Rocco Piñata  geben würde und Petra als erstes die Keule schwingt.
Willst du uns eine weitere Metaebene über eure "Dokumentation" Blaues Licht mit auf den Weg geben, um uns noch mehr zu verwirren?
Der Film ist komplett so wie er ist. Tatsächlich gab es bei der Teampremiere noch ein kleines Verwirrspiel, was damit geendet hat, dass 4 Polizisten Speiseeis in die Menge gefeuert haben. Teilweise ist das Eis auch zurückgeflogen. Gegen ihr Köpfe. Aber das war nur ein Gimmik. Generell  rede ich ungern über den Film, jedes Wort entromantisiert eher das Gesamtding, als dass die Spannung steigt.
Ein Freund von dir hat kürzlich das Projekt "Painting Dhaka" ins Leben gerufen. Was kannst du uns über dieses Projekt erzählen?
Checkt es aus, wird ein schönes Ding. Wird bestimmt noch Wind drum geben. Er geht nach Dhaka, um Kinder aus zwei Slum-Schulen Graffiti näher zu bringen, Kunst zu unterrichten und mit ihnen Konzepte zu erarbeiten, die dann auf die S-Bahnen vor Ort gesprüht werden. Grob gesagt. Sehr grob gesagt.  Es geht um die Selbstbewusstseinsbildung bei Kindern, mit kaum einer Chance auf Zukunft, in einem der ärmsten Länder der Welt.
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